Warum der Betrieb des Grundwasserwerks Lobau gegen EU-Umweltrecht verstößt

Aktualisiert: 21. Februar 2024
In Lobau & Umweltrecht habe ich in den Raum gestellt, dass der Betrieb des Grundwasserwerks Lobau ohne Aufbereitungsanlage dem Verschlechterungsverbot in Art 6. (2) der Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie (FFH) widersprechen dürfte. Tatsächlich kann daran aufgrund der gegebenen Rechtslage kein Zweifel bestehen. Ein Gedankenexperiment soll das verdeutlichen.


Der Stein des Anstoßes: Grundwasserwerk Lobau (Luftbild; Datenquelle: Stadt Wien – data.wien.gv.at; Creative Commons Namensnennung 3.0 Österreich)

Die FFH enthält sehr klare Vorgaben in Zusammenhang mit Projekten bzw. Aktivitäten im EU-weiten Netz von Natura-2000-Gebieten, die mittlerweile durch einige einschlägige Urteile des Europäischen Gerichtshofs weiter spezifiziert wurden. Kurz: Eine nicht mit den Erhaltungszielen der FFH vereinbare Aktivität ist entweder zu ändern oder zu verbieten. Der Umstand, dass eine Aktivität bereits vor Anwendbarkeit der FFH, also vor der offiziellen Aufnahme eines Gebiets in das Natura-2000-Netz ausgeführt wurde, ist in diesem Zusammenhang völlig belanglos.

Der einzige Unterschied zwischen bereits zuvor bestehenden Aktivitäten und neuen Projekten besteht darin, dass für bestehende Aktivitäten keine sogenannte „Ex-ante“-Prüfung erforderlich ist, also etwa eine Umweltverträglichkeitsprüfung oder ein naturschutzrechtliches Genehmigungsverfahren, während für neue Projekte das in Art. 6 (3) FFH vorgesehene Überprüfungsverfahren durchzuführen ist. Die Kriterien für die Zulässigkeit beider Arten von Aktivitäten sind jedoch völlig identisch. Sie gelten daher auch für das seit 1966 betriebene Grundwasserwerk Lobau, auch wenn der Wiener Teil des Nationalparks Donau-Auen erst 2007 zum Natura-2000-Gebiet erklärt wurde (siehe Europaschutzgebietsverordnung).

Eine Konformität des Betriebs des Grundwasserwerks Lobau ohne Aufbereitungsanlage mit den Vorgaben der FFH kann daher nur dann gegeben sein, wenn diese Aktivität als neues Projekt das in Art. 6 (3) vorgeschriebene Überprüfungsverfahren überstehen oder gegebenenfalls unter die Ausnahmeregelungen in Art. 6 (4) fallen würde.

Wie im Folgenden ausgeführt, hätte die Errichtung bzw. der Betrieb des Grundwasserwerks in seiner aktuellen Form keinerlei Chance auf Genehmigung, weder direkt in einem Verfahren nach Art. 6 (3) FFH noch unter Anwendung der Ausnahmeregelungen von Art. 6 (4) FFH. Daher ist auch der laufende Betrieb des GWW Lobau ohne Aufbereitungsanlage zweifellos FFH-widrig.

In einem Überprüfungsverfahren gemäß Art. 6 (3) wären die voraussichtlichen Auswirkungen auf das Schutzgebiet festzustellen und zu bewerten, mit denen im Fall der Errichtung und des Betriebs eines Grundwasserwerks in der Lobau ohne Aufbereitungsanlage zu rechnen wäre. Der Hauptgrund für die Unzulässigkeit eines solchen Projekts wäre das Fehlen einer Aufbereitungsanlage. Ob die Entnahme von Grundwasser zur Trinkwasserversorgung bereits an sich (durch die damit verbundene Senkung des Grundwasserspiegels) eine unzulässige Beeinträchtigung des von Verlandung bedrohten Schutzgebiets darstellen könnte, ist von sekundärer Bedeutung.

Im Rahmen des Überprüfungsverfahrens würde sich unvermeidlich der mittlerweile bekannte Sachverhalt (siehe Lobau: Die Quadratur des Kreises) herausstellen: Der Betrieb eines Grundwasserwerks in der Unteren Lobau ohne Aufbereitungsanlage würde Maßnahmen zur Hintanhaltung einer natürlichen Entwicklung (d.h., der Verlandung) verunmöglichen, die einen Großteil der Schutzgüter im Schutzgebiet existenziell bedroht. Unter den im Fall einer Umsetzung des Projekts verunmöglichten Maßnahmen wären insbesondere Dotationen der Unteren Lobau zu nennen. Sie würden laut Erkenntnissen aus Modellierungen in jedem Fall zu einer zu starken Beeinträchtigung der Wasserqualität führen und es damit unmöglich machen, nicht bzw. nur unzureichend aufbereitetes Grundwasser in das Trinkwassernetz einzuspeisen, wie vom Projekt vorgesehen.

Maßnahmen zur Hintanhaltung einer natürlichen Entwicklung wie der Verlandung sind aber gemäß Art. 6 FFH zwingend zu ergreifen, und zwar präventiv, um jede Verschlechterung des Erhaltungszustands der Schutzgüter zu vermeiden.

Kurz gefasst: Im Genehmigungsverfahren würde sich herausstellen, dass der Betrieb eines Grundwasserwerks in der Unteren Lobau ohne Aufbereitungsanlage die zu schützenden Habitate und Arten in einem Großteil des Schutzgebiets nicht nur gefährden, sondern langfristig sogar ihren endgültigen Verlust nach sich ziehen dürfte.

Es ist denkunmöglich, dass ein solches Grundwasserwerk in Anbetracht seiner absehbar verheerenden Auswirkungen im Rahmen einer Verträglichkeitsprüfung gemäß Art. 6 (3) FFH genehmigt werden würde.

Auch eine Ausnahmegenehmigung gemäß Art. 6 (4) FFH wäre ausgeschlossen

Der Vollständigkeit halber sollte auch untersucht werden, ob ein solches Grundwasserwerk gemäß Art. 6 (4) FFH genehmigt werden könnte, der es unter bestimmten Bedingungen ermöglicht, auch ein nicht mit den Erhaltungszielen der FFH verträgliches Projekt durchzuführen. Art. 6 (4) stellt dafür jedoch hohe Hürden auf. Im Wortlaut (Hervorhebungen vom Autor):

(4) Ist trotz negativer Ergebnisse der Verträglichkeitsprüfung aus zwingenden Gründen des überwiegenden öffentlichen Interesses einschließlich solcher sozialer oder wirtschaftlicher Art ein Plan oder Projekt durchzuführen und ist eine Alternativlösung nicht vorhanden, so ergreift der Mitgliedstaat alle notwendigen Ausgleichsmaßnahmen, um sicherzustellen, dass die globale Kohärenz von Natura 2000 geschützt ist. Der Mitgliedstaat unterrichtet die Kommission über die von ihm ergriffenen Ausgleichsmaßnahmen.

Ist das betreffende Gebiet ein Gebiet, das einen prioritären natürlichen Lebensraumtyp und/oder eine prioritäre Art einschließt, so können nur Erwägungen im Zusammenhang mit der Gesundheit des Menschen und der öffentlichen Sicherheit oder im Zusammenhang mit maßgeblichen günstigen Auswirkungen für die Umwelt oder, nach Stellungnahme der Kommission, andere zwingende Gründe des überwiegenden öffentlichen Interesses geltend gemacht werden. (Siehe FFH-Richtlinie, deutsch, pdf)

Das Natura-2000-Gebiet Donau-Auen (Wiener Teil), insbesondere auch die Untere Lobau, schließt auch „einen prioritären natürlichen Lebensraumtyp und/oder eine prioritäre Art“ ein (zumindest eine – den Nachtfalter Euplagia quadripunctaria, “Russischer Bär”). Daher müssten dreierlei Bedingungen erfüllt sein, um ein Grundwasserwerk ohne Aufbereitungsanlage doch errichten zu können:

  1. müsste der Nachweis „zwingender Gründe des öffentlichen Interesses“, und zwar „im Zusammenhang mit der Gesundheit des Menschen“ erbracht werden
  2. müsste der Nachweis erbracht werden, dass „keine Alternativlösung vorhanden“ ist, und
  3. müssten „alle notwendigen Ausgleichsmaßnahmen“ ergriffen werden, „um sicherzustellen, dass die globale Kohärenz von Natura 2000 geschützt ist“.

Wie nachstehend ausgeführt, könnte lediglich die erste Bedingung erfüllt werden; die beiden weiteren Bedingungen sind unüberwindliche Hürden. Ein Grundwasserwerk in der Lobau ohne Aufbereitungsanlage könnte daher auch gemäß Art. 6 (4) FFH nicht genehmigt werden.

Ad 1) Diese Bedingung könnte gewährleistet sein: Man könnte argumentieren, dass das Grundwasserwerk der Sicherstellung der Trinkwasserversorgung Wiens dienen solle und dass es sich dabei um „zwingende Gründe des überwiegenden öffentlichen Interesses“ im Zusammenhang mit der Gesundheit des Menschen handle.

Ad 2) Die Bedingung „… und ist eine Alternativlösung nicht vorhanden“ ist aber bereits unerfüllbar, und zwar aus mehreren Gründen.

Update, Jänner 2023: Die Aussage zu den Grundwasserkapazitäten im folgenden Absatz ist zu relativieren, denn das Werk auf der Donauinsel darf nur bei Versorgungsengpässen genutzt werden. Siehe Wiener Grundwasserkapazitäten: Update zu den Werken Donauinsel-Nord und Nussdorf

Theoretisch könnte eine „Alternativlosigkeit“ damit argumentiert werden, dass die Sicherstellung der Trinkwasserversorgung Wiens ohne das neue, geplante Grundwasserwerk unmöglich wäre. Das dürfte vor dem Hintergrund der in den letzten Jahren ausgebauten Grundwasser-Versorgungskapazitäten Wiens schwierig sein: Mit den Grundwasserwerken Moosbrunn (seit 2006) und Donauinsel-Nord (seit 2015) verfügt Wien heute über zusätzliche Kapazitäten von 107.000 m³ / Tag. Vor 2006 gelang es aber allein mit dem GWW Lobau (Kapazität ca. 80.000 m³ / Tag) und dem 2004 außer Betrieb genommenen Wientalwasserwerk (Kapazität 10.000 m³ / Tag) regelmäßig, die Bedarfsspitzen abzudecken und die Trinkwasserversorgung auch während der Wartungsperioden der beiden Hochquellenleitungen sicherzustellen. Da der Trinkwasserbedarf Wiens stagniert, sollte das auch mit Moosbrunn und Donauinsel-Nord allein möglich sein.

Praktisch wäre ein solcher Nachweis aber irrelevant, da es ja näherliegende Alternativlösungen gäbe – einerseits die Ausstattung des geplanten Grundwasserwerks mit einer Aufbereitungsanlage, andererseits eventuell auch eine Positionierung der Förderbrunnen in gegenüber Dotationen weniger sensiblen Bereichen der Unteren Lobau. Mit rein finanziellen Argumenten – die Stadt Wien sei arm wie eine Kirchenmaus und könne auch den BürgerInnen der Stadt die infolge der Errichtung einer Aufbereitungsanlage erhöhten Trinkwasserkosten nicht zumuten – käme man sicher nicht durch.

Ad 3) Ob die dritte Bedingung erfüllbar wäre, ist insofern bereits irrelevant. Doch spekulieren wir: Was, wenn selbst die Hürde der zweiten Bedingung genommen würde? Dann wären „alle notwendigen Ausgleichsmaßnahmen“ zu ergreifen, „um sicherzustellen, dass die globale Kohärenz von Natura 2000 geschützt ist“. Solche Ausgleichsmaßnahmen sind im konkreten Fall jedoch unmöglich, denn das Projekt in der vorgeschlagenen Ausführung (ohne Aufbereitungsanlage) würde mindestens die Hälfte des gesamten Schutzgebiets der Verlandung preisgeben und zum Verlust eines Großteils der zu erhaltenden Schutzgüter führen. Es sind keine Maßnahmen vorstellbar, die solche destruktiven Auswirkungen „ausgleichen“ könnten.

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