Wiener Grundwasserpläne (1): Aufbereitungsprojekt, Versorgungsrisiko und Kleehäufel-Amnesie

Aktualisiert: 23. April 2024
Die von der Stadt Wien im März 2023 angekündigte Aufbereitungsanlage für die Grundwasserwerke Nussdorf und Donauinsel-Nord wird ein seit jeher bestehendes Versorgungsrisiko in Zusammenhang mit den Hochquellenleitungen abdecken – mit fast 30 Jahren Verspätung. Vorgesehen war das schon 1995, und danach im Rahmen des Projekts Wasserwerk Kleehäufel (2003). Realisiert wurde nichts davon – eine Vorgeschichte, über die das Rathaus den Mantel des Vergessens breitet.

Die Errichtung einer Aufbereitungsanlage für die Wiener Grundwasserwerke Nussdorf und Donauinsel-Nord ist Teil der „Großinvestitionen“ in die Trinkwasserversorgung, die von der Stadt Wien im März 2023 angekündigt wurden. Die beiden Grundwasserwerke verfügten bisher nur über Desinfektionsanlagen (Chlordioxid/UV). Begründet werden alle diese Ausgaben im Wesentlichen mit dem erwarteten Bevölkerungswachstum und einem damit steigenden Wasserbedarf – gerechnet wird mit plus 15 Prozent bis 2050. Näheres kann man der Strategie Wiener Wasser 2050 entnehmen. Angenommen wird übrigens ein gleichbleibender Pro-Kopf-Verbrauch, entgegen dem zuletzt rückläufigen Trend (ca. minus 8 Prozent von 2011-2021).

Die Botschaft ist klar: Wien will sich einfach „fit für die Zukunft“ machen. Liest man die Wiener Presseinformation vom 21. März 2023 genauer, entdeckt man aber, dass auch „für längere Wartungsarbeiten an den Hochquellenleitungen (..) im Sinne des vorausschauenden Handelns Vorsorge getroffen werden“ müsste.

Mit einem zunehmenden Wasserverbrauch kann das nichts zu tun haben. Erwartet die Stadt, dass die Hochquellenleitungen immer baufälliger werden? Das wäre doch beunruhigend.

Preisgabe der Unteren Lobau. In diesem Beitrag geht es um das Aufbereitungsprojekt Nussdorf/Donauinsel und seine Vorgeschichte. Wien hat 2023 aber auch das Nein zu einer Aufbereitung für das Grundwasserwerk Lobau auf viele Jahre hinaus einzementiert. Damit verunmöglicht die Stadt effektive Erhaltungsmaßnahmen für die Untere Lobau und verstößt insbesondere gegen das Verschlechterungsverbot der Habitat-Richtlinie der EU. Darauf und auf die Aussichten für die Untere Lobau wird in einem weiteren Beitrag (noch in Arbeit) eingegangen.

Worum geht es also? Einen Hinweis finden nur die wenigen, die sich die Mühe machen, das Protokoll der Fragestunde im Gemeinderat vom 25. April 2023 (Pdf) zu konsultieren. Man wolle, so Umweltstadtrat Jürgen Czernohorszky auf die Frage eines Abgeordneten, die Versorgungssicherheit auch dann gewährleisten, „wenn es in Zukunft längere Dürreperioden geben sollte oder wenn eben eine Hochquellenleitung ausfällt„. (Hervorhebung durch den Autor)

Verstecktes Versorgungsrisiko. Du sprichst ein großes Wort gelassen aus, könnte man mit Goethe sagen. Es geht also darum. dass eine der beiden Hochquellenleitungen für einen längeren Zeitraum ausfallen könnte. Das Problem ist aber nicht neu, sondern existiert seit Jahrzehnten – von „Vorsorge“ und „vorausschauendem Handeln“ der Stadt kann insofern keine Rede sein: Dieses Risiko wurde bisher bewusst in Kauf genommen.

Die beiden Hochquellenleitungen sind tatsächlich ständig wartungsbedürftig und werden regelmäßig abwechselnd außer Betrieb genommen. Die notwendigen Wartungs- und Instandhaltungsarbeiten werden als „Abkehren“ bezeichnet, für die früher jeweils nur 3 Tage, in der Regel viermal im Jahr zur Verfügung standen. Mittlerweile dürfen sie bis zu 7 Tage dauern. Diese kurzen Zeiträume lassen sich in der Regel allein mit den Kapazitäten der Wasserbehälter (derzeit 1,6 Mio. Kubikmeter) überbrücken, die mehr als dem Vierfachen eines mittleren Tagesbedarfs entsprechen.

Aber es besteht auch, abgesehen von Katastrophenfällen, das Risiko gröberer Havarien, die es nötig machen können, die betroffene Leitung für einen längeren Zeitraum stillzulegen. Um allenfalls drohende Versorgungseinschränkungen zu vermeiden, bräuchte man dann Grundwasserkapazitäten, die ausreichen, um eine Hochquellenleitung zu ersetzen. Das sind bis zu 220.000 Kubikmeter pro Tag. .

Keine ausreichenden Grundwasserkapazitäten.
Solche Grundwasserkapazitäten gibt es derzeit nicht, und es gab sie auch schon in den 90er Jahren nicht. Derzeit stehen nur maximal 144.000 Kubikmeter pro Tag aus den Grundwasserwerken Lobau und Moosbrunn (südlich von Wien, mit Aufbereitung, seit 2006 in Betrieb) zur Verfügung. Zwar kann auch Wasser aus dem Grundwasserwerk Nussdorf (seit 2002) ins Trinkwassernetz eingespeist werden, seit 2015 auch aus dem Werk auf der Donauinsel. Da beide Werke aber nur über Desinfektionsanlagen verfügen, ist dies nur in „kritischen Versorgungsituationen“ und bei Erfüllung zahlreicher Hygieneauflagen zulässig, eine qualitativ schlechte und letztlich nicht verlässlich verfügbare Notfallreserve. (Die Notfallbewilligung für Donauinsel-Nord kommt weiter unten noch zur Sprache.) Vor 2002 gab es viele Jahre lang nur die rund 80.000 Kubikmeter pro Tag, die das Grundwasserwerk Lobau liefern kann, die knapp 10.000 Kubikmeter/Tag aus dem Wiental-Wasserwerk (Oberflächenwasser, bis 2003/2004) und bis zu 8.600 Kubikmeter/Tag aus dem Brunnen Markethäufel in der Oberen Lobau.

In Zukunft – ab Inbetriebnahme der Aufbereitungsanlage für Nussdorf und Donauinsel-Nord (voraussichtlich ab 2029) – wird nun aber auf rund 230.000 Kubikmeter zurückgegriffen werden können. Das übersteigt die maximale Kapazität der (derzeit etwas leistungsstärkeren) 1. Hochquellenleitung, wie der nachstehenden Grafik zu entnehmen.

Zwar bleibt das Grundwasserwerk Lobau ein Wackelkandidat, da es auch in Zukunft nur mit Desinfektion betrieben werden soll. Es kann daher im Fall von Hochwasser an der Donau oder bei niedrigem Wasserstand wie bisher nicht zur Gänze oder überhaupt nicht genutzt werden. Doch die Versorgungssicherheit wird sich dennoch signifikant verbessern.

Man würde erwarten, dass die Stadt Wien eine solche Errungenschaft zumindest hervorhebt, aber das Gegenteil ist der Fall: Die Öffentlichkeit erfährt nichts davon, und im Gemeinderat wird das beiläufig in einen Nebensatz verpackt. Wie ist das zu erklären?

Es gibt einen naheliegenden Grund: Die Stadt Wien will sich nicht selbst in ein schlechtes Licht rücken. Das wäre der Fall, wenn sie zugibt, dieses Versorgungsrisiko jahrzehntelang bewusst in Kauf genommen und nicht einmal darüber informiert zu haben. Daher sind auch Rückblicke in die Vergangenheit zu vermeiden. Denn dann käme noch dazu heraus, dass man schon vor langer Zeit Lösungen für das Problem fix und fertig hatte, aber aus zweifelhaften Gründen darauf verzichtete – zuletzt in Gestalt des Projekts „Wasserwerk Kleehäufel“.

Projekt 1995 und Wasserwerk Kleehäufel. Tatsächlich wurde das „neue“ Aufbereitungsprojekt für Nussdorf und Donauinsel-Nord bereits 1995 groß angekündigt, also vor knapp 30 Jahren – eine gemeinsame Aufbereitungsanlage auf der Donauinsel, Fertigstellung bis 2000 (siehe Baubeginn für Brunnen auf der Donauinsel (1995)). Sogar eine separate Aufbereitungsanlage für das GWW Lobau war damals ebenfalls im Gespräch. Realisiert wurde weder die eine noch die andere. Stattdessen wurde das Projekt „Wasserwerk Kleehäufel“ aus der Taufe gehoben und 2003 präsentiert. Vorgesehen war nun eine zentrale Aufbereitungsanlage für alle Grundwasserwerke in Wien, als auch für das GWW Lobau, am Kleehäufel in der Donaustadt (siehe Kleehäufel: Ein neues Wasserwerk entsteht (2003)). Für die zentrale Anlage sprachen Kostengründe und der Naturschutz – ein separater Standort in der Unteren Lobau, damals ja schon Teil des Nationalparks, konnte so vermieden werden.

Das Vorhaben wurde 2004 (ebenso wie zuvor die Aufbereitungsanlage auf der Donauinsel) von der obersten Wasserrechtsbehörde (damals das Landwirtschaftsministerium) bewilligt. Doch auch Kleehäufel wurde nicht realisiert, und die Bewilligung lief aus – sehr zum Missfallen der obersten Wasserrechtsbehörde, wie sich dem Schriftverkehr mit dem Wiener Rathaus entnehmen lässt.

Warum das Wasserwerk Kleehäufel abgesagt wurde, ist bis heute nicht klar. Aller Wahrscheinlichkeit nach stand eine Änderung der politischen Prioritäten dahinter – man fand eine bessere Verwendung für die dafür vorgesehenen Mittel. Eine Erklärung, die immer wieder in den spärlichen offiziellen Wortspenden zur Kleehäufel-Absage auftaucht, ist zweifellos eine Notlüge: dass der Wasserbedarf nicht wie erwartet gestiegen wäre. Denn der Wasserbrauch ging in der Planungsphase von Kleehäufel deutlich zurück (siehe Grafik).

Der Wasserverbrauch spielte auch bei der offiziellen Begründung des Projekts keine Rolle. In einem Gespräch mit der Tageszeitung Der Standard im September 2002 (Die Stadt braucht mehr Wasserreserven) erklärte der damalige Chef der Wasserwerke (heute „Wiener Wasser“ bzw. MA 31), Hans Sailer, die Beweggründe für das Projekt Kleehäufel und verwies dabei sogar ausdrücklich auf einen deutlich sinkenden Wasserverbrauch (minus 3 Prozent im Gesamtjahr). Was er aber erwähnte, waren mögliche Katastrophen (Erdbeben), Terroranschläge, sanierungsbedürftige Leitungen und Aquädukte, also alles, was einen längeren Ausfall einer Hochquellenleitung verursachen könnte.

Absage von Kleehäufel rächt sich beinahe. Nur ein paar Jahre nach der Absage des Projekts wurde genau ein Risiko schlagend, dem das Wasserwerk Kleehäufel seine Brisanz genommen hätte: 2012 wurden gravierende Schäden an einem Abschnitt der 2. Hochquellenleitung bei Scheibbs entdeckt, in einer Region, wo schon Ende der 90er Jahre ein Umgehungsstollen gebaut werden musste. Darüber berichtete der ORF dann 2013: Risse in Wiener Hochquellleitung, 18.5.2013. Damit rückte ein Krisenszenario in den Bereich des Möglichen – dass man die Hochquellenleitung eventuell für längere Zeiträume stilllegen müsste, ohne die nötigen Grundwasserkapazitäten bereit zu haben.

Für eine Notlösung kamen die bereits zuvor errichteten Grundwasserbrunnen auf der Donauinsel ins Spiel, die bislang ein eher nutzloses Dasein geführt hatten. In aller Eile wurde beantragt, die Brunnen per Ausstattung mit einer Desinfektionsanlage in „kritischen Versorgungssituationen“ zur Trinkwasserversorgung einsetzen zu dürfen. Diese Notfallbewilligung wurde, nebst zahlreichen Hygieneauflagen, erteilt, allerdings nur befristet. Bis Ende 2023 übrigens. Dass die Stadt Wien ihr Aufbereitungsprojekt im März 2023 ankündigte, ist insofern kein Zufall.

Es gelang den Wiener Wasserwerken damals, das Problem zu lösen. Es wurde ein Ersatzstollen („Neubrucker Lehnenstollen „) im Abschnitt Scheibbs errichtet, der im Sommer 2016 in Betrieb genommen wurde. Für die Anbindung dieses Ersatzstollens an die 2. Hochquellenleitung oberhalb des gefährdeten Abschnitts wurde allerdings ein Zeitfenster von 14 Tagen benötigt – eine „verlängerte Abkehr“. Ob die Donauinsel-Brunnen damals zum Einsatz kamen oder nicht, geht aus dem Bericht der MA 31 nicht hervor. (Siehe Leistungsbericht der MA 31 2017.)

Der Stadt Wien – und der Wiener Bevölkerung – blieb damals ein ungewohntes Szenario erspart. Schlimmstenfalls wären temporäre Rationierungen des Wasserverbrauchs erforderlich gewesen. Das hätte aller Welt vor Augen geführt, dass die Absage des Kleehäufel-Projekts wenige Jahre zuvor zumindest fahrlässig war. Aus Sicht des Rathauses wäre es daher wohl besser, wenn auch die Scheibbs-Episode möglichst aus dem öffentlichen Gedächtnis verschwindet. Dass nur der jeweils letzte Leistungsbericht der MA 31 auf den Internetseiten der Stadt Wien abrufbar ist, alle früheren aber nicht, mag ein Beitrag dazu sein.

Anhaltende Kleehäufel-Amnesie. Auch wenn bisher „alles gut ging“, ist die Absage des Kleehäufel-Projekts samt ihren bis heute nachwirkenden Folgen kein Ruhmesblatt in der Geschichte der Wiener Trinkwasserversorgung. Darüber wird nun schon seit Jahren der Mantel des Vergessens gebreitet, wie auch die Ankündigung der Investitionen in die Trinkwasserinfrastruktur im März 2023 belegt. Man sagt nur die halbe Wahrheit und verlässt sich im Übrigen auf das notorisch schlechte öffentliche Gedächtnis.

Damit liegt die Stadt Wien leider völlig richtig. Es gibt zumindest im Internet keine Anzeichen dafür, dass die Wiener Opposition, die Medien oder die Zivilgesellschaft es geschafft hätten, sich seit der Bekanntgabe der Grundwasserpläne an das Projekt Wasserwerk Kleehäufel zu erinnern. Eine Google-Suche nach „Hochquellenleitungen“ und „Kleehäufel“ (mit Einschränkung auf den Zeitraum nach dem 21. März 2023) ergibt einen einzigen Treffer – einen Artikel des Autors dieser Zeilen auf meinbezirk.at von Ende Dezember 2023. Die Kombination Grundwasser und Kleehäufel ergibt einen weiteren – auf lobaumuseum.wien: Aufgedeckt: Wien riskiert Trinkwasser – auf Kosten des Nationalparks.

Damit setzt sich die öffentliche Kleehäufel-Amnesie fort. Bereits die stillschweigende Absage des Projekts – die Bewilligung lief aus – hatte keinerlei öffentlichen Reaktionen hervorgerufen. Auch im Gemeinderat nicht – in den Protokollen lässt sich keine einzige Wortmeldung dazu finden. Sehr erstaunlich, denn das Wasserwerk Kleehäufel repräsentierte die bedeutendste Erweiterung der Wiener Trinkwasserinfrastruktur seit der Errichtung des Grundwasserwerks Lobau in den 1960er Jahren. Ein erklärungsbedürftiges Phänomen – noch rätselhafter ist aber vielleicht, dass auch die Preisgabe der Unteren Lobau durch die Stadt Wien kaum auf öffentliche Kritik stößt.

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