Trinkwasser aus dem Nationalpark: De Biesbosch, Niederlande

Aktualisiert: 21. Juli 2024

Glaubt man der Stadt Wien, gefährdet die Rettung der Unteren Lobau durch Dotationen die Trinkwasserversorgung. Doch die Region Rotterdam beweist: Aufbereitung macht’s möglich. Sie deckt ihren Trinkwasserbedarf aus dem Nationalpark De Biesbosch. Das Feuchtgebiet blüht und gedeiht, und das Wasser ist billiger als hierzulande.


Marschlandschaft in de Biesbosch
Foto: Wikimedia, User Ymblanter, Creative Commons Attribution-Share Alike 4.0 International

Der Nationalpark De Biesbosch in den Niederlanden, am Zusammenfluss von Rhein und Maas, ist das einzige Süßwassergezeitengebiet Europas – und er hat einiges mit der Lobau und dem Nationalpark Donau-Auen gemeinsam.

Einmal sind beide Nationalparks auch Natura-2000-Gebiete sowie Feuchtgebiete (Donau-Auen: Untere Lobau) unter dem Schutz der Ramsar-Konvention, der Österreich vor fast genau 40 Jahren beigetreten ist – am 12. April 1983 (siehe 40 Jahre Ramsar in Österreich). Mit 9.640 Hektar bzw. ca. 9.600 Hektar (Donau-Auen) sind beide Schutzgebiete derzeit fast gleich groß (De Biesbosch soll aber auf 12.000 Hektar erweitert werden). De Biesbosch wurde 1994 zum Nationalpark erklärt, das Gebiet der Donau-Auen nur wenig später, 1996. Und mit der Lobau gemein hat er zudem einige geschützte Arten wie den Biber, den Europäischen Schlammpeitzger, den Bitterling und – jedenfalls als zeitweiligen Gast – den Seeadler. (Siehe u. a. Lobau: Geschützte Tierarten der Gewässer und Feuchtlebensräume.)

Und schließlich spielt De Biesbosch eine herausragende Rolle für die Trinkwasserversorgung in der Region Rotterdam: Rund 1,5 Millionen Menschen sind permanent auf Trinkwasser aus De Biesbosch angewiesen. Auch hier gibt es eine Parallele: Die Stadt Wien deckt einen – wenn auch vergleichsweise unbedeutenden – Teil ihres Trinkwasserbedarfs aus dem Nationalpark, mit dem 1966 eröffneten Grundwasserwerk Lobau in der Unteren Lobau.

Aufbereitung vs. Desinfektion. Es gibt aber einen Unterschied zwischen den beiden Nationalparks, der über Gedeih oder Verderben entscheidet: Das Wasser aus De Biesbosch wird aufbereitet, das Wasser aus der Unteren Lobau lediglich desinfiziert. In De Biesbosch besteht kein Konflikt mit der Erhaltung des Schutzgebiets, eher ist das Gegenteil der Fall: ohne natürliche Durchströmung kein Trinkwasser. In der Unteren Lobau verhält es sich umgekehrt: Jede Zufuhr von Oberflächenwasser – die einzige Möglichkeit, das Schutzgebiet zu retten – könnte die Trinkwassergewinnung gefährden, befürchtet die Stadt Wien. Und bisher weigert sich Wien beharrlich, die Aufbereitung als mögliche Lösung anzuerkennen.

Ohne Deltawerke kein De Biesbosch

Zurück zu De Biesbosch. Der Nationalpark ist eine deltaähnliche Flusslandschaft zwischen der Waal, dem südlichen Mündungsarm des Rheins (Waal) und der Maas – eine Anhäufung von Flussinseln, durchströmt von zahlreichen Nebenarmen. Die Charakteristik des heutigen Nationalparks verdankt sich einem weitreichenden Eingriff in die „natürlichen“ Verhältnisse: dem Haringvlietdamm, einem der enormen Bauwerke, die in den Niederlanden errichtet wurden, um sich vor den Gewalten des Meeres zu schützen. Das größte Tidesperrwerk Europas entstand zwischen 1958 und 1970 als Teil des Deltaplans und liegt etwa 50 Kilometer flussabwärts von De Biesbosch (siehe Karte). Der Damm ist 5 Kilometer lang und 56 Meter breit. Sowohl die Menge des bei Flut eindringenden Meerwassers als auch der Abfluss von Flusswasser in die Nordsee kann so reguliert werden.

© OpenStreetMap contributors, Bearbeitung: Robert Poth

Seit 2011 werden die Schleusen etwas geöffnet, wenn der Pegel im Haringvliet unter dem des Meeres liegt, was wieder zu Gezeiten flussaufwärts führt, wenn auch stark abgeschwächt, und die Migration von Fischen ermöglicht. Tatsächlich kommt der Atlantische Lachs in De Biesbosch ebenso vor wie weniger bekannte, ebenfalls geschützte Arten, die zum Laichen ihr Habitat wechseln (vom Meer ins Süßwasser), darunter der Maifisch (Alosa alosa), die Finte (Alosa fallax), das Flussneunauge (Lampetra fluviatilis) und das Meerneunauge (Petromyzon marinus).

Oberflächenwasser aus der Maas
Das in De Biesbosch gewonnene Trinkwasser stammt aus drei von der Maas gespeisten Speicherbecken im Nationalpark, De Petrusplaat (1), De Honderd en Dertig (2) und De Gijster (3) (siehe Karte). Dort wird es über mehrere Monate natürlich gereinigt, dann abgepumpt und schließlich weiter aufbereitet. Die Speicherkapazität der Becken liegt bei mehr als einem Monatsbedarf. Ihre Gesamtfläche beträgt 673 Hektar, das ist um ein Drittel mehr als die Fläche der ganzen Neuen Donau. Solange die Maas und der Rhein nicht austrocknen, hat der Nationalpark eine gesicherte Zukunft – und auch die Trinkwassergewinnung.

© OpenStreetMap contributors, Bearbeitung: Robert Poth

Trinkwasser: Kein Qualitätsproblem …
Menschen in Wien, die mit Recht stolz auf „ihr“ Hochquellenwasser sind, werden vielleicht mitleidig mit den Achseln zucken: Die armen Leute in den Niederlanden kennen halt nichts anderes. Und dabei wohl nicht wissen oder vergessen haben, dass wir bis vor nicht allzulanger Zeit zumindest dann und wann auch Oberflächenwasser in den Leitungen hatten – aus dem Wienerwaldsee; der Betrieb des Wasserwerks dort wurde 2003/2004 eingestellt.

Abgesehen von Geschmacksfragen: Die Qualität des Trinkwassers ist in den Niederlanden hoch. Seit 2005 wird wegen der Bildung von potenziell gesundheitsschädlichen Trihalogenmethanen darauf verzichtet, Trinkwasser mit Chlor (Chlorgas) zu desinfizieren (Drinking Water. Principles and Practices, 2006). Desinfektion erfolgt nur mehr mit Ozon, Wasserstoffperoxid und UV-Licht, also auch nicht mit Chlordioxid, das im Grundwasserwerk Lobau verwendet wird.

Wasser wird in den Niederlanden generell einfach aus dem Hahn getrunken. Das schlägt sich auch in einem fast rekordverdächtig geringen Konsum von in Flaschen abgefülltem Trinkwasser nieder – 28 Liter pro Kopf waren es 2019, weit weniger als in Österreich (95 Liter) und in Italien (200 Liter), dem Spitzenreiter im Europavergleich. (Quelle: www.reddit.com/r/europe/comments/vspgd9/bottled_water_consumption_per_capita_in_europe).

… und billiger als in Wien

Und teuer ist das Trinkwasser auch nicht, trotz Aufbereitung. Die Gesamtkosten von Trinkwasser für Endverbraucher in der Region (Brabant) beliefen sich 2023 auf 1,42 Euro pro Kubikmeter (Kerngegevens drinkwater 2023, Seite 3 (PDF)). Für 2024 gibt der Versorger (Brabant Water) einen Preis von nur 1,25 Euro / m³ an (Drinkwatertarieven).
Was kostete das Wasser in Wien im selben Jahr? 2,14 Euro, um einiges mehr (siehe Wiener Wassergebühren).

Wien ist anders
Vor diesem Hintergrund wirkt die Weigerung der Stadt Wien, für eine Aufbereitung des Grundwassers aus der Unteren Lobau zu sorgen, fast schon absurd. Zuletzt ging die zuständige Magistratsabteilung, die MA 31 (Wiener Wasser), sogar so weit, ihr Njet zur Aufbereitung mit einer Verbesserung der Qualität des Donauwassers zu rechtfertigen. „Aufgrund der positiven Entwicklung der Wasserqualität der Donau musste keine Aufbereitungsanlage, wie die von Ihnen angesprochene TWAA Kleehäufel, errichtet werden“, hieß es Ende März in einer Antwort an Diplomkaufmann Hans Schmid, einem engagierten Anrainer der Lobau. Eine Offenbarung: Damit bewertet die Stadtverwaltung auch die Rettung der Unteren Lobau, die mit einer Aufbereitungsanlage für das Grundwasserwerk möglich wäre, als unnötigen Luxus. Dass die Verbesserung der Qualität des Donauwassers auch angeführt werden könnte, um die Gefährdung der Grundwasserqualität durch Dotationen der Unteren Lobau infrage zu stellen, ist der MA 31 offenbar auch entgangen. Aber wie wir ja wissen: Wien ist anders.

Biesbosch, Weblinks

  

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