Wiener Grundwasserpläne 2023: Selektive Information zum Schutz der Reputation


Die Stadt Wien hat im März 2023 umfangreiche Investitionen in die Infrastruktur der Trinkwasserversorgung angekündigt, die mit dem erwarteten Bevölkerungswachstum und einem parallel dazu voraussichtlich steigenden Wasserbedarf begründet werden.

  • Vorenthalten wird der Öffentlichkeit jedoch, dass mit den Maßnahmen ein seit jeher bestehendes Versorgungsrisiko in Zusammenhang mit den Hochquellenleitungen abgedeckt wird, was bereits vor knapp 30 Jahren (!) geplant war.
  • Und dass die Stadt mit dem Nein zu einer Aufbereitung für das Grundwasserwerk Lobau die Untere Lobau dem Untergang preisgibt, entgegen ihren naturschutzrechtlichen Verpflichtungen, wird wie bisher unter den Teppich gekehrt.

  • Was wurde im März 2023 angekündigt? Im Wesentlichen ein Ausbau der Kapazitäten der Wasserbehälter von 1,6 auf 2 Mio. Kubikmeter, die Erfassung zusätzlicher Quellen im Hochschwabgebiet sowie eine gemeinsame Aufbereitungsanlage für die Grundwasserwerke Nussdorf und Donauinsel-Nord. Siehe dazu u. a. die folgenden Quellen: 150 Jahre Wiener Wasser – Ludwig/Czernohorszky: Wien sorgt mit Großinvestitionen für Wasserversorgung vor (Presseinformation vom 21. März 2023) // Fragestunde Gemeinderatssitzung 25. April 2023, Wortprotokoll (Pdf) // 98 Millionen Euro für Wiener Wasserversorgung fixiert (meinbezirk.at).

    Hinweis: Dieser Artikel dient als Einleitung zu zwei weiteren Texten zu den Wiener Grundwasserplänen. Der erste, Wiener Grundwasserpläne (1): Aufbereitungsprojekt, Versorgungsrisiko und Kleehäufel-Amnesie, befasst sich mit dem Versorgungsrisiko und der Vorgeschichte des geplanten Aufbereitungsprojekts, der zweite (noch in Arbeit) mit den Aussichten für die Erhaltung der Unteren Lobau.

    Von Bedeutung ist dabei insbesondere die geplante Aufbereitungsanlage für die Grundwasserwerke Nussdorf und Donauinsel-Nord. Zusammen mit dem Grundwasserwerk Lobau und dem Grundwasserwerk Moosbrunn südlich von Wien werden nach Fertigstellung (voraussichtlich Ende 2028) erstmals ausreichende verlässliche Grundwasserkapazitäten verfügbar sein, um auch einen längeren Ausfall einer der beiden Hochquellenleitungen ohne Mengen- und Qualitätseinbußen zu überstehen.

    Ein solcher längerer Ausfall war bisher ein Krisenszenario, das mit den vorhandenen Ressourcen nur schwer bis gar nicht zu bewältigen war. Nun wird dieses seit Jahrzehnten bestehende Versorgungsrisiko abgedeckt. Zweifellos eine signifikante Verbesserung der Versorgungssicherheit – sie wird in der Presseinformation des Rathauses aber nicht erwähnt. Vor allem wird nicht darüber informiert, dass die Stadt die nun angekündigte Aufbereitungsanlage bereits in den 1990er Jahren geplant hatte (siehe Baubeginn für Brunnen auf der Donauinsel (1995)). Sie wurde 1995 von der obersten Wasserrechtsbehörde bewilligt. Ebenso fehlt jede Information zum nachfolgenden Projekt Wasserwerk Kleehäufel, das der Öffentlichkeit 2003 präsentiert und ebenfalls – 2004 – von der obersten Wasserrechtsbehörde bewilligt wurde (siehe Kleehäufel: Ein neues Wasserwerk entsteht (2003).) Das Kleehäufel-Projekt sah eine zentrale Aufbereitungsanlage für alle Grundwasserwerke in Wien vor, also auch für das Grundwasserwerk Lobau.

    Reputationsschutz. Es gibt einen naheliegenden Grund dafür, dass man im Rathaus zum Schluss kam, auf all diese Informationen besser zu verzichten: Beide Aufbereitungsprojekte wurden nicht realisiert, das Wasserwerk Kleehäufel vermutlich aufgrund einer Veränderung der Prioritäten, sprich: aus finanziellen Gründen. Andernfalls wäre offensichtlich geworden, dass die Stadt das Versorgungsrisiko in Zusammenhang mit den Hochquellenleitungen bisher bewusst in Kauf genommen hatte – nicht ganz in Einklang mit dem Anspruch, verantwortlich und „vorausschauend“ zu handeln. Das hätte sich übrigens bereits einmal fast gerächt, als es bei Scheibbs Probleme mit der 2. Hochquellenleitung gab. Mehr dazu und zur Vorgeschichte der Wiener Aufbereitungspläne im Beitrag Wiener Grundwasserpläne (1): Aufbereitungsprojekt, Versorgungsrisiko und Kleehäufel-Amnesie.

    Konflikt mit Naturschutzverpflichtungen. Mit dem leider nicht realisierten Projekt Wasserwerk Kleehäufel wäre außerdem auch die Voraussetzung für eine Lösung des Konflikts zwischen Trinkwasserpolitik und Naturschutz geschaffen worden: eine Aufbereitung des Wassers aus der Unteren Lobau.

    Die Untere Lobau ist ein Feuchtgebiet internationaler Bedeutung unter dem Schutz der Ramsar-Konvention (seit 1983), mittlerweile Teil des Nationalparks Donau-Auen und seit 2007 Europaschutzgebiet. Es war seit jeher eine anerkannte Tatsache, dass die Untere Lobau einem fortschreitenden Prozess der Verlandung unterliegt, der mittel- bis langfristig zum Verschwinden der Feuchtlebensräume und der auf sie angewiesenen teils streng geschützten Arten führen wird. Unumstritten war und ist, dass eine Erhaltung des Schutzgebiets nur durch Wasserzufuhren (Dotationen), im Idealfall durch eine Wiederanbindung an die Donau möglich ist.

    Allerdings ist die Untere Lobau auch Standort des großteils in den 1960er Jahren errichteten Grundwasserwerks Lobau, das nur über eine Desinfektionsanlage (Chlordioxid) verfügt. Die bloße Desinfektion ist aufgrund der hohen Selbstreinigung des Grundwassers im Untergrund in der Regel ausreichend, um die nötige Trinkwasserqualität zu gewährleisten. Die Wiener Wasserwerke (MA 31, „Wiener Wasser“) standen daher möglichen Dotationen der Unteren Lobau seit jeher skeptisch gegenüber, da eine eventuell nicht kompensierbare Verschlechterung der Grundwasserqualität befürchtet wurde.

    Der Widerstand der MA 31 war sicher einer der Hauptgründe, warum die teils schon vor Jahrzehnten angedachten, auch ambitionierten Revitalisierungs- und Renaturierungspläne für die Untere Lobau niemals über das Projektstadium hinauskamen. Ein Wendepunkt kam dann mit einer von Wien beauftragten Studie, „Gewässervernetzung (Neue) Donau – Untere Lobau (Nationalpark Donau-Auen)“ (nicht veröffentlicht). Die zwei Haupterkenntnisse im Endbericht der Studie (2015): 1. Die Untere Lobau hat ohne weitreichende Erhaltungsmaßnahmen (Dotationen) als wertvolles Schutzgebiet keine Zukunft. 2. Selbst geringfügige Dotationen von wenigen Kubikmetern pro Sekunde könnten die Grundwasserqualität in der Unteren Lobau beeinträchtigen.

    Auf Basis der Annahme, dass diese Beeinträchtigungen durch bloße Desinfektion nicht bewältigt werden könnten, konstatierte die Studie einen Konflikt zwischen Naturschutz und Trinkwasserversorgung und schloss mit der Aussage: „Geeignete Lösungen dieses Konfliktes müssen zukünftig noch entwickelt werden.“

    Eine Lösung liegt allerdings auf der Hand: eine Aufbereitungsanlage für das Grundwasserwerk Lobau, wie sie zuletzt im Rahmen des Projekts Wasserwerk Kleehäufel vorgesehen war. Seit 2015 ist aus dem Wiener Rathaus in Bezug auf Aufbereitung aber ein kategorisches „Njet“ zu vernehmen – und damit auch zu jeder Dotation der Unteren Lobau. Leider hat sich die Stadt Wien im Rahmen der Grundwasserpläne von 2023 auf diese Position festgelegt – das GWW Lobau soll auf viele Jahre hinaus weiter nur mit Desinfektion betrieben werden.

    Damit verhindert Wien wie bisher jedwede effektive Erhaltungsmaßnahmen für die Untere Lobau, in Missachtung der naturschutzrechtlichen Verpflichtungen der Stadt. Insbesondere liegt damit ein klarer Verstoß gegen das Verschlechterungsverbot der Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie (FFH) der EU vor, wonach die ökologischen Merkmale eines Europaschutzgebiets ab dem Zeitpunkt zu erhalten sind, zu dem das Gebiet als solches eingestuft wurde – das war 2007, im Fall der Lobau. Die Stadt hat bisher im Wesentlichen nur finanzielle Gründe für ihre Position vorgebracht – sie schätzt demnach den Wert der Erhaltung der Lebensräume und der Artenvielfalt der Unteren Lobau als geringer ein als die Kosten einer Aufbereitungsanlage.

    Wie es für die Untere Lobau nun weitergehen und ob die neuen Grundwasserpläne der Stadt eventuell auch positive Folgen auf das Schutzgebiet haben könnten, soll in einem weiteren Beitrag zu den Wiener Grundwasserplänen (noch in Arbeit) behandelt werden. Vorläufig siehe dazu u. a. Lobau & Umweltrecht und Warum der Betrieb des Grundwasserwerks Lobau gegen EU-Umweltrecht verstößt.

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