Rettung der Lobau: Aufbereitung erschwinglich

Aktualisiert: 31. Januar 2023
Wären die Wienerinnen und Wiener bereit, die Kosten einer Aufbereitungsanlage für das Grundwasserwerk Lobau zu schultern, wenn der Wiener Teil des Nationalparks Donau-Auen so gerettet werden könnte? Meinem Dafürhalten nach: Ja. Die Kosten bewegen sich in überschaubarem Rahmen.

Eine Erhöhung der Wasser- und Abwassergebühren in Wien um 2 % könnte ausreichen, eine Aufbereitungsanlage für das Grundwasserwerk Lobau zu finanzieren.

Es ist absurd, aber man kann es nicht oft genug wiederholen: Die Lobau, Teil eines Naturschutzgebiets internationalen Ranges, wird ohne zwingenden Grund einem schleichenden Untergang preisgegeben, indem ihr das nötige Wasser vorenthalten wird. Im Fall der Unteren Lobau, weil die Stadt Wien partout darauf besteht, dort Grundwasser ohne Aufbereitung zu fördern, und im Fall der Oberen Lobau, weil mangels Sperrwand einige Keller im Wiener Bezirk Donaustadt zu feucht werden könnten (siehe Lobau: Die Quadratur des Kreises bzw. Robert Eichert vom Lobaumuseum Wien in der Radiosendung Wer rettet die Lobau?).

Allgemein bekannt ist das leider nicht. Noch weniger bekannt ist, dass Wien 2004 drauf und dran war, die Voraussetzungen für eine Lösung des Problems zumindest in der Unteren Lobau zu schaffen: In Form des geplanten Wasserwerks Kleehäufel, das allerdings nie das Licht der Welt erblickte. Als Teil einer großen Lösung für alle Grundwasserwerke Wiens wäre in Kleehäufel auch das Grundwasser aus der Lobau aufbereitet worden. Damit wäre auch der Hauptgrund entfallen, aus dem sämtliche Projekte zur Dotation der Unteren Lobau oder zur Wiederanbindung an die Donau in den letzten Jahrzehnten gescheitert sind: die voraussichtliche Verschlechterung der Grundwasserqualität im Bereich des Brunnenfelds des Grundwasserwerks in der Unteren Lobau.

Warum Kleehäufel tatsächlich nicht gebaut wurde, wissen wir nicht. Es ist schon überraschend, wenn die Stadt Wien eine diesbezügliche Anfrage beantwortet, zuletzt dem Blogger und Buchautor Martin Moser: “Die Aufbereitungsanlage am Standort Kleehäufel wurde auf Grund der bisherigen Entwicklung des Wasserbedarfes noch nicht realisiert“, teilte ihm die MA 31 (Wiener Wasser) mit.

In seinem Beitrag Das verschwundene Wasserwerk Kleehäufel ging Martin Moser übrigens der Frage nach, ob es nicht tatsächlich die von der ASFINAG geplante S1 (vulgo “Lobau-Autobahn”) war, der das Aufbereitungsprojekt zum Opfer fiel.

Was auch immer der damaligen Entscheidung zugrunde lag, eines wurde dabei mit Sicherheit nicht berücksichtigt: der Wert der Erhaltung der Auencharakteristik der Lobau – und die Kosten des Zugrundegehens dieser einzigartigen Landschaft.

Die Erhaltung des Grundwasserwerks Lobau als Sicherheitsreserve für die Trinkwasserversorgung Wiens liegt zweifellos im öffentlichen Interesse, ebenso aber auch der Schutz der Lobau. Eine Aufbereitungsanlage für dieses Wasserwerk könnte den Konflikt zwischen diesen beiden Interessen entschärfen. Und sie wäre insbesondere dann zu errichten, wenn der Nutzen der Rettung der Lobau die Kosten der Aufbereitung des Grundwassers übersteigt.

Das klingt nach einer umweltökonomischen Rechenübung. Die kann man sich aber meines Erachtens getrost ersparen. Die Errichtungskosten einer solchen Anlage und ihre laufenden Kosten könnten wahrscheinlich durch eine geringe Anhebung der Wasser- und Abwassergebühren in Wien problemlos finanziert werden. Ein Plus von ca. 2 Prozent könnte hinreichen, wie eine Plausibilitätsrechnung zeigt.

Grundlage dieser Plausibilitätsrechnung sind öffentlich verfügbare Informationen, ergänzt durch notwendige Annahmen zu den relevanten Parametern. Die da wären:

  • Volumen der durchschnittlichen jährlichen Einspeisung aus der Lobau
  • Volumen der technisch nötigen permanenten Entnahme, sofern erforderlich
  • Aufbereitungskosten pro m³ Wasser
  • Errichtungskosten der Anlage
  • Finanzierungskosten

Wie sich zeigt, ergibt sich die größte Bandbreite möglicher Annahmen in Zusammenhang mit den Aufbereitungskosten pro Kubikmeter. Durch eine bewusst hohe Veranschlagung dieses Parameters lassen sich daher Fehleinschätzungen der Errichtungs- und Finanzierungskosten kompensieren. Aber eines nach dem anderen.

Eingespeiste Mengen. Die Annahme der jährlichen Einspeisemengen aus dem Grundwasserwerk Lobau ist vergleichsweise unproblematisch. Da sich in den letzten Jahren nichts Grundlegendes an der Struktur der Wiener Trinkwasserversorgung geändert hat, kann man den Zeitraum 1988-2007 heranziehen und davon ausgehen, dass in einem “normalen” Jahr 3 Mio. m³ Trinkwasser zur Abdeckung des Spitzenbedarfs und in Wartungsperioden der beiden Hochquellenleitungen ins Netz eingespeist werden (siehe Grafik).

Nötige permanente Entnahme. Manche Aufbereitungsverfahren sind nur für einen Dauerbetrieb geeignet, d.h., man kann die entsprechende Anlage nicht einfach stilllegen und dann und wann zur Spitzenabdeckung hochfahren. Zu den im Fall des Grundwasserwerks Lobau erforderlichen Verfahren lässt sich mangels offizieller Informationen nichts sagen. Im Fall des Wasserwerks Donauinsel Nord wurde lediglich eine Desinfektion mittels UV-Strahlung und Chlordioxiddosierung implementiert (siehe Donauinsel Nord, Angaben des Herstellers, GWT Gesellschaft für Wasser- und Wärmetechnik GmbH).

Einen Anhaltspunkt liefern aber Angaben zum ursprünglich geplanten Wasserwerk Kleehäufel. Im Fall von Kleehäufel wäre aus technischen Gründen eine permanente Entnahme von 0,2 m³ / Sekunde erforderlich gewesen, heißt es in einem Beitrag in “Umwelt Stadt: Geschichte des Natur- und Lebensraumes Wien”, erschienen im Böhlau Verlag Wien, 2005. Einer der beiden Autoren des Beitrags ist der MA-31-Experte DI Dr. Markus Werderitsch. (Der betreffende Abschnitt des Buchs lässt sich online per Google-Suche abrufen.) Kleehäufel hätte eine Kapazität von mehr als 160.000 m³ / Tag gehabt, das Grundwasserwerk Lobau kann nach offiziellen Angaben max. 80.000 m³ / Tag liefern. Aufgrund der um rund die Hälfte geringeren Kapazität könnte man annehmen, dass permanent 0,1 m³/Sek. aus der Lobau ins Netz gepumpt werden müssten.

Das ergibt maximal weitere 3,15 Mio. m³ im Jahr (diese Mengen kommen nur hinzu, wenn an sich keine Bedarf für Lobau-Wasser besteht). Diese Annahme könnte falsch sein, was aber insgesamt nicht ausschlaggebend ist (große Bandbreite möglicher Aufbereitungskosten).

Aufbereitungskosten pro m³. Das deutsche Umweltbundesamt hat in einem Beitrag zur Trinkwasserqualität in Deutschland dafür einen oberen Extremwert genannt: 1 Euro / m³ (siehe Deutsches Trinkwasser erhält wieder die Note „sehr gut“). Dieser Wert übersteigt die Aufbereitungskosten des von der Stadt Wien betriebenen Grundwasserwerks Moosbrunn um das Hundertfache – sie liegen bei lediglich 0,01 Euro je Kubikmeter (siehe Inbetriebnahme und Probebetrieb einer Wasseraufbereitungsanlage mittels Ozon und Wasserstoffperoxid am Beispiel des Grundwasserkraftwerkes Moosbrunn (Abstract Masterarbeit)).

Für meine Kostenschätzung habe ich einen Wert von 0,5 Euro / m³ angenommen, der weit überhöht sein dürfte. Dafür sorgt er bei den Kosten für Spielraum nach unten.

Die Angaben des deutschen Umweltbundesamts beziehen sich außerdem eindeutig auf die von den Endverbrauchern abzudeckenden Gesamtkosten der Aufbereitung, woraus sich folgern lässt, dass hier nicht nur die Betriebskosten im engeren Sinne (Energie, Materialaufwand etc.), sondern zumindest auch die Personal- und Instandhaltungskosten inkludiert sind. Das vereinfacht die weitere Berechnung.

Aufbereitungskosten / Jahr. Auf Basis der obigen Annahmen würden pro Jahr maximal 6,15 Mio. m³ aufbereitetes Wasser aus dem Grundwasserwerk Lobau ins Wiener Trinkwassernetz eingespeist werden – 3 Mio. m³ zur tatsächlichen Bedarfsdeckung und 3,15 m³ als permanente Entnahme, wobei sich die Mengen nicht zur Gänze addieren dürften. Bei Aufbereitungskosten von einem halben Euro pro m³ ergeben sich durchschnittlich Kosten von rund drei Mio. Euro jährlich. Zur Klarstellung: Es wird angenommen, dass diese drei Mio. Euro die gesamten laufenden Kosten der Aufbereitungsanlage decken (Betriebskosten im engeren Sinne, Personal- und Instandhaltungskosten).

Investitionskosten. Für das große Kleehäufel-Projekt waren 2004 90 Mio. Euro vorgesehen, eine Aufbereitungsanlage allein für das Grundwasserwerk Lobau hätte höchstens die Hälfte der Kapazität von Kleehäufel gehabt. Ich unterstelle aber, dass die Errichtung einer Aufbereitungsanlage für das Grundwasserwerk Lobau damals zwei Drittel des für Kleehäufel veranschlagten Betrags gekostet hätte, also 60 Mio. Euro.
Um die Kostensteigerungen seit damals näherungsweise zu berücksichtigen, multipliziere ich diesen Betrag mit dem Anstieg des Verbraucherpreisindex (VPI) 2000 von Juli 2003 bis Feburar 2019 (105,8 vs. Februar 2019 141,4 = 1,336). Quelle: VPI 2000, Statistik Austria. Daraus ergeben sich geschätzte aktuelle Errichtungskosten von 80 Mio. Euro.

[Update Mai 2021: Die Investitionskosten wären mit Sicherheit höher gewesen, da die 90 Mio. Euro nur für die erste Ausbaustufe veranschlagt waren (1.100 Liter / Sekunde aus den Brunnenfeldern Nussdorf und Donauinsel-Nord). Dem Bewilligungsbescheid für Kleehäufel (22. März 2004, Zahl: 15.628/12-1 5/033) sind aber Hinweise zu entnehmen, wonach die Kosten für die zweite Ausbaustufe erheblich geringer ausfallen könnten. Im Rahmen einer Besprechung im Büro SUM-Nord am 11. Juni 2019 sprach der damalige MA-31-Chef DI Dr. Wolfgang Zerobin in Zusammenhang mit einer Aufbereitungsanlage für das Werk Lobau von Kosten von “weit mehr als 100 Mio. Euro”, also mehr als die von mir angenommenen 80 Mio. Euro. Selbst damit würden sich aber die Gesamtkosten nicht signifikant erhöhen, wie sich den folgenden Kalkulationen entnehmen lässt.]

Finanzierungskosten. Diese 80 Millionen Euro werden durch Aufnahme eines langfristigen Darlehens finanziert. Ich unterstelle ein Darlehen mit 20 Jahren Laufzeit, vierteljährlicher Tilgung und fixer Verzinsung zu den durchschnittlichen Finanzierungskosten der Stadt Wien von 2017 (Finanzschuldenbericht 2017, pdf), und zwar zum (höheren) Zinssatz für Euroschulden – das waren 1,10%.

Tilgung und Zinsen für ein solches Darlehen summieren sich über die 20-jährige Laufzeit auf 88,9 Mio. Euro, woraus sich jährliche Zins- und Tilgungskosten von 4,445 Mio. Euro ergeben (siehe www.zinsen-berechnen.de/tilgungsrechner).

Gesamtkosten / Jahr: Damit haben wir die wichtigsten Parameter beisammen. Für die Dauer der Tilgung des Darlehens (20 Jahre) ergeben sich jährliche Gesamtkosten von rund 7,45 Mio. Euro / Jahr (rund 3 Mio. laufende Aufbereitungskosten plus Finanzierungskosten von 4,445 Mio.).

Diese Kosten wären über die Wasser- und Abwassergebühren an die Haushalte weiterzureichen und daher von der Wiener Bevölkerung zu schultern. Der Betrag ist nicht gerade überwältigend: bei einer Bevölkerung von 1,888 Mio. sind das rund 4 Euro pro Kopf und Jahr.

Dieser Betrag entspricht bei Wasser- und Abwassergebühren von 1,92 bzw. 2,11 Euro / m³ (Wassergebühr bzw. Abwassergebühr) einer Erhöhung der Wasser- und Abwassergebühren (Stand 2019) um ca. 2% – ceteris paribus: ob die aktuellen Gebühren die tatsächlich (auch ohne Aufbereitungsanlage für das Lobauwasser) anfallenden Kosten decken, ist hier nicht von Bedeutung.

Abschließend daher die Frage:

Wäre es den Wienerinnen und Wienern wert, pro Jahr 4 Euro pro Kopf zu zahlen, um die Lobau zu retten?

Ich denke, diese Frage lässt sich mit Ja beantworten.

Mit ihrer Weigerung, die Errichtung einer Aufbereitungsanlage für das Grundwasserwerk Lobau in Betracht zu ziehen, stellt sich die Stadt Wien meines Erachtens daher gegen eine Maßnahme, die wahrscheinlich eine Mehrheit der Menschen der Stadt befürworten würde, sofern damit die Voraussetzungen für eine Rettung der Lobau geschaffen werden könnten.

Ob ich damit richtig liege, ließe sich feststellen: Man fragt die Menschen einfach. Natürlich nachdem sie ausreichend Gelegenheit hatten, sich über die Sachlage zu informieren. Was die Stadt Wien bis dato durch ihre Informationsblockade weitestgehend verunmöglicht.

P.S.: Ich bin für jeden Hinweis auf gravierende oder auch nicht gravierende Fehler in meiner Kostenschätzung dankbar!

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